Ausflug in die Welt der Schreiberei

In den Jahren zwischen 2002 und 2010 bekam ich Interesse am Schreiben. Im schulischen Vorfeld wurde ich geprägt durch einen sehr engagierten Deutschlehrer, der durch die Auswahl der Unterrichtsliteratur einen Einblick gab, was man als herausragende Literatur bezeichnet. Neben den klassischen Autoren wurden die Werke von Böll, Grass und Lenz vorgestellt. Letzterer schrieb den Roman "Deutschstunde." Im Unterricht bearbeitet wurde lediglich ein kleiner Ausschnitt, der mich wahnsinnig neugierig machte. Wer den Roman kennt, es ist die Beschreibung der Mühle, die als Ort eine Hauptrolle spielt. Ich habe den ganzen Roman mehrfach gelesen und war jedesmal begeistert, wenn ich tiefer in die Handlung einsinken konnte.

Aber auch Johannes Mario Simmel war kein Tabu, sondern spannende Unterhaltung. Und mitreißend schreiben konnte er.

 

Mein Verständnis von dem, was man als "Kopfkino erzeugen" bezeichnet, bekam einen gewaltigen Schub. Daraus wurde mein Wahlspruch "Schreibe, wie du sprichst, dann schreibst du schön." O.K., den Spruch habe ich von Gotthold Ephraim Lessing adoptiert. Das bezieht sich allerdings nicht auf die Tendenzen in der Schule, Sprache und Rechtschreibung zu vereinfachen. Das ist ein falscher Weg. Ein Beispiel für hervorragende Texte sind die Kinderbücher von Paul Maar "Das Sams." Die Geschichten konnte ich meiner Tochter ohne Stottern und Verhaspeln vorlesen. Das wurde für mich ein Leitmotiv und Maßgabe für das Schreiben. Wenn ich mir einen selbstgeschriebenen Text vorlese und dabei hängenbleibe, oder mich verhaspele, dann isser handwerklich nicht gut.

 

Zurück zum geweckten Interesse am Schreiben.

Ich suchte den Lesekick in erotischen Geschichten. Es waren nicht die Schilderungen des reinen Aktes in POV Manier eines Pornofilms, sondern eher die emotionalen Aspekte, die eine Geschichte erst "mitreißend" machen, einen Leser in die Handlung hineinziehen. Das Internet bot hier reichlich Futter. Schnell war mir klar, wer die "großen Hausnummern" des Genres hatte. Ich fand zu Deutschlands größtem Erotik-Geschichtenboard Sevac. Es dauerte nicht lange, bis man mich fragte, ob ich nicht Geschichtenmoderator werden wollte. Das habe ich mit Begeisterung ein paar Jahre gemacht, wobei ich aber im Verlauf feststellen musste, dass nur ein Bruchteil der Autoren wirklich gutes Talent zum Schreiben hatte. Parallel versuchte mich selbst als Autor und schrieb als Nucleus ein paar Kurzgeschichten. Aus meiner heutigen Sicht sind sie aber nur nett. Bei jedem Review entdecke ich neue Fehler in diesen Werken. Ich glaube, als Amateur hat man ohne einen Lektor keine Chance, wirklich gute Geschichten abzuliefern. Ein Abstecher zu englischen/amerikanischen Autoren bei Literotica und Storiesonline brachten mir nicht nur die englische Sprache wieder näher, sondern auch einige sehr spannende Geschichten.

 

Auf dieser Webseite kann ich meine erotischen Geschichten aus Jugendschutzgründen nicht zugänglich machen. Wen es interessiert, der kann sie im amerikanischen Geschichtenboard Literotica, deutsch unter meinem o.g. Nicknamen lesen. Eine nichterotische Kurzgeschichte, die in einer Geschichtensammlung in einem Buch ("Schreibsucht") veröffentlicht wurde, kann ich hier allerdings zur Verfügung stellen. Das Buch ist mit Glück nur noch antiquarisch zu bekommen.

 

Im Text spielt, fast wie zu erwarten, die Eisenbahn eine Rolle!

Der Tunnel
von Matthias Hilberg


Langsam setzte sich der Zug in Bewegung. Rumpelnd und mit schaukelnden Bewegungen fuhr er
hinter der Blockstelle Hochwald auf die Nebenstrecke. Ich kannte diesen Ort, hatte ich doch letztes
Jahr hier in der Nähe ein paar Ferientage mit der Familie verbracht. Ein Auto konnten wir uns von
meinem Gehalt noch nicht leisten, obwohl es der Firma in den Nachkriegsjahren wirtschaftlich
immer besser ging.


Schon nach kurzer Fahrt bergan bescherte uns ein auf Rot stehendes Signal einen Zwangsaufenthalt.
Wütend ließ der Meister die Dampfpfeife seines schwarzen „Rennpferdes" aufheulen. Dieser Halt
kostete ihn die in der Ebene wertvoll herausgefahrenen Minuten, die er am Aufstieg zur Passhöhe so
nötig gebraucht hätte.


Draußen zogen die Nebelschwaden eines zu Neige gehenden Novembertages vorbei. Die Heizung
tickte in den Rohren der Abteile. Müde lehnte ich am Fenster und starrte in das undurchdringliche
Grau, hatte doch eine lange, erfolglose Verhandlung mit einem Kunden um ein großes Bauprojekt
meine Energie aufgebraucht. Ich wollte nur noch nach Hause, sehnte mich nach meiner Frau und
den Kindern.


Gut, dann würde es eben etwas später werden, bis ich wieder bei ihnen wäre. Jetzt war es mir nicht
möglich, mich zu Hause zu melden. Es gab keinen Fernsprecher weit und breit.
Sie werden sich schon keine Sorgen machen, sie wissen, dass ich mit dem Zug fahre, beruhigte ich
mein Gewissen.


Der Nebel tauchte die Szenerie in ein unwirkliches Licht. Einmal, als der Zugführer durch die
Abteile ging und verkündete, dass ein Gütcrzug auf der Hauptstrecke liegen geblieben sei und wir
über eine Nebenstrecke geleitet würden, schreckte ich aus einem kurzen Schlaf hoch und blickte
entsetzt durch das mit Feuchtigkeit beschlagene Fenster. Ich glaubte, einen Dämonen mit rot
glühenden Augen zu sehen. Verwirrt wandte ich mich ab und bemerkte den rundlichen
Bahnbediensteten, der neben mir mit einer Karre stand und mir eine Tasse mit heißem Tee reichte.
„Sie sehen blass aus, fühlen Sie sich nicht wohl? Nehmen Sie, es wird Ihnen gut tun.

 

Wenn Sie noch einen Wunsch haben, dann melden Sie sich bitte bei mir."

Verschmitzt lächelte er mich an und zog
behäbig mit seiner quietschenden Karre zum nächsten Abteil.

 

Ein gellender Pfiff der Lokomotive markierte endlich den Beginn der Weiterfahrt.

Das leichte Druckgefühl in meiner Brust ignorierte ich, bis es von selbst verschwand.

Ich kannte diese Art von Unwohlsein schon länger.
„Entschuldigen Sie bitte, mein Herr", unterbrach die ältere Dame im graumelierten Rock die Stille
im Abteil. „Vorhin, als Sie schliefen, sagte der Zugführer, dass im nächsten großen Bahnhof ein
Anschlusszug bereitgestellt würde, lch muss an der nächsten Station aussteigen und wollte Ihnen
das nur mitteilen."


„Danke schön, aber ich habe keine Eile, ich fahre bis zur Endstation", lächelte ich zurück.
"Na, dann haben Sie ja noch eine lange Reise vor sich", sagte sie lächelnd, dann widmete sie sich
wieder ihrem Buch.
Ich lehnte meinen Kopf wieder ans Fenster. Einen Dämonen entdeckte ich nicht mehr.
Obwohl ich sehr müde war, konnte ich nicht mehr schlafen. Unruhig schwankte der Zug über die
Schienenstöße, nur unterbrochen von metallischem Rauschen, wenn er eine Brücke überquerte. An
der Farbe der Dampfschwaden, die am Fenster vorbeizogen, ahnte ich, wie schwer der Heizer
arbeiten musste. Tonnen von Kohlen warfen die armen Kerle bei Bergfahrt in den unersättlichen
Schlund des Kessels. Laut donnernd klangen die Auspuffschläge an mein Ohr. Der Zug fuhr nur
langsam bergan.

 

Die Telegrafenleitungen tanzten vor dem Fenster auf und ab, selten saß ein
einsamer Vogel auf den Drähten und flog erschreckt davon. Ich verfolgte dieses gleichmäßige Spiel
der vorbeiziehenden Telegrafenmasten eine Weile, bis mir die Augen doch endlich zufielen. Mein
linker Arm schmerzte zwar schon die ganze Zeit, aber ich schob es auf die feuchte Witterung, bei
der sich jedes Mal mein Rheuma meldete. ,Wenn ich zu Hause bin, gehe ich zum Arzt.'
Das monotone Schaukeln des Zuges wiegte mich in den Schlaf. Die Schmerzen im Arm ließen
nach. Die Geräusche des Zuges klangen dumpf in meinen Ohren. Vor meinen Augen

tauchten Bilder des abgelaufenen Tages auf. Meine Geschäftspartner - hinter vorgehaltener Hand

lachten und tuschelten sie - ich glaubte, ein paar Wortfetzcn von dem, was sie sagten, zu verstehen:

„Schwache Firma", „Konkurs", „Übernahme"


Egal, ich hatte den Vertrag in der Tasche, wenn ich auch nicht die Vorstellungen meines Chefs
durchsetzen konnte.
Endlich lösten sich die grauen Bilder auf. Sommer. Meine Frau saß auf der Schaukel im Garten. Ihr
Kleid gab bei jedem Schwung den Blick auf ihre Beine frei. Sie lachte wie ein Kind, wenn ich sie
anschubste. Nebel legte sich über diese Harmonie. Wieder sah ich das enge Flusstal, den eisernen
Schienenstrang, auf dem der Zug unaufhaltsam seinem Ziel entgegenfuhr. Graue Schwaden. Mir
war kalt. Auf jeder Brücke - ich konnte sie nicht sehen - bekam ich Beklemmungen, wenn das hohle
metallische Geräusch beim Überfahren des tosenden Baches meine Angst vor einer Entgleisung
verstärkte -ein Sturz in die Tiefe und mein Leben war zu Ende.

Ich öffnete die Augen, Dampfschwaden zogen am Fenster vorbei. Die Frau gegenüber

war über ihrem Buch eingenickt.


Ihre Brille hing tief über ihrer Nase. Draußen im Nebel rote Lichtpunkte, die schnell näher kamen
und immer größer wurden. - Der Dämon? -
Angst ergriff mich. Das Bild des Schreckens ließ sich nicht wegwischen.
Als ich meinen Blick abwendete, saß ich allein im Abteil.
Wo war die Frau?
Nur die Notbeleuchtung brannte. Ich rutschte zur Abteiltür, hielt mich am Türgriff. Der Zug schien
zu tanzen. Mir wurde schlecht.


Wo waren wir? Wo war das neblige Flusstal? Totale Finsternis vor dem Fenster. ,Ein Tunnel',
versuchte ich mich zu beruhigen. Bestimmt fuhren wir durch einen Tunnel.
Ich starrte gebannt in die Finsternis. Ab und zu huschten kleine, gelbliche Lichter am Fenster
vorbei. Ich glaubte, in einigen hässlich grinsende Fratzen zu sehen. Kalter Schweiß stand mir auf
der Stirn. Ich zog mich am Türgriff hoch und öffnete die Tür zum Gang. Auch hier brannte nur eine
spärliche Beleuchtung.


Der Schaffner hatte gesagt, ich könne zu ihm kommen, wenn ich seine Hilfe brauchte, fiel mir
ein ...
Doch wo war sein Dienstabteil? Ich tastete mich durch das Halbdunkel. Komisch, niemand saß im
Zug. Jedes Abteil, an dem ich vorbei kam, war leer. ,Waren die Fahrgäste schon alle ausgestiegen?'
Monoton krachte das Geräusch der überfahrenen Schienenstöße in meinen Ohren.
Warum musste auch ein Güterzug ausgerechnet auf meinem Weg nach Hause liegen bleiben?' Der
Übergang zum nächsten Wagen. Vielleicht war dort das Dienstabteil. Krampfhaft hielt ich mich an
den eisernen Griffen, als ich über die schwankenden Platten des Übergangs zum nächsten Wagen
schritt. Die seitlichen Gummiwülste quietschten und verschoben sich beängstigend bei jeder
Gleisunebenheit.


Vor mir lagen Personenwagen, die keine Einzelabteile besaßen. So konnte ich den langen Gang
durch mehrere Wagen sehen. Auch hier saß niemand.
Der Ausdruck „Geisterbahn" kam mir in den Kopf, mir war jedoch dabei nicht zum Schmunzeln
zumute.
In der Ferne des Ganges kam eine Gestalt auf mich zu.
,Der Schaffner, endlich! Hatte er vorhin auch schon einen langen Mantel an?'
Durch seinen hochgeklappten Kragen - er verdeckte das Gesicht -konnte ich ihn noch nicht
erkennen.
,Er würde sich an mich erinnern.'
Immer näher kam er, nur noch ein Durchgang trennte mich von ihm.
Jetzt öffnete er die letzte Tür. Froh doch auf ein menschliches Wesen in diesem verlassenen Zug zu
treffen, öffnete ich den Mund für eine freundliche Begrüßung.


Doch dann sah ich in sein Gesicht. Mir erstarb das erste Wort auf den Lippen. Unter der großen
Dienstmütze blickte ich in eine knöcherne Fratze mit leeren Augenhöhlen. Dort, wo eigentlich die
Augen sein sollten, flammte ein rotes Glühen auf. Eine knöcherne Hand streckte sich nach mir aus,
wollte mich ergreifen. Eine eisige Faust legte sich um mein Herz ...Das Leuchten in seinen Augen wurde stärker.

Das Rot verschwand und gleißendes Licht zerfraß die
unheimliche Erscheinung seiner Gestalt. Auch die Konturen des Eisenbahnwagens lösten sich im
hellen Nichts auf. Ich blinzelte durch die halb geschlossenen Augenlider. Zwei Köpfe schoben sich
in mein Blickfeld. Ich lag auf einer harten Unterlage. Das Licht einer Taschenlampe blendete mich,
sodass ich reflexartig meine Augen schloss.


Merkwürdige Geräusche drangen an meine Ohren. Das unregelmäßige Piepen wurde von einer
sanften Stimme unterbrochen, die meinen Namen sagte. Langsam nahmen die Konturen der Person,
die sich über mich beugte, eine reale Form an. Eine junge, blonde Frau blickte mich an. Ihr weißer
Kittel mit einem Namensschild verriet mir, dass ich nicht im Himmel war.


„Guten Morgen Herr Koch, schön, dass Sie sich entschieden haben, Ihre lange Reise nicht
fortzusetzen. Darf ich Ihnen meine Kollegin, Frau Bantzer vorstellen. Sie hatten großes Glück, dass
sie in Ihrem Abteil saß. Wäre sie nicht gewesen, dann hätten Sie Ihren Herzinfarkt nicht überlebt.
Schwester Doris, ziehen Sie mir bitte noch eine Spritze mit Valium auf, der Patient braucht viel
Ruhe, danach rufen Sie seine Frau an."


Erschienen 6.12.2005 im Buch „Schreibsucht“ , Hrsg: Herbig-Renk, im Web Site Verlag,

ISBN-10: 3935982461 ISBN-13: 978-3935982467